Ein Urlaub am Rande des Abgrunds – Teil 2

8. Tag – 62km von Gwatt über Genf nach Seyssel (F): Hoch lebe Frankreich! Hurra, endlich in Frankreich angekommen und endlich scheint die Sonne. Aber erst einmal der Reihe nach. Nachdem die Wettervorhersage für unsere Strecke durch die Schweiz weiterhin schlecht war, entschieden wir uns, mit dem Zug nach Genf zu fahren in der Hoffnung auf Sonnenschein je weiter südlich wir kommen. Und wir hatten Glück. Nach einer ca. zweistündigen Zugfahrt kamen wir in glühender Hitze in Genf an. Wir fanden das super und nach einem schweineteuren Mittagessen (20EUR für ein kleines Thunfischbrötchen, zwei Empanadas und zwei Joghurt) radelten wir für eine Weile entlang der Rhone. Am frühen Nachmittag passierten wir auf ruhigen Straßen und inmitten eines Naturschutzgebietes die Grenze nach Frankreich. Im ersten Dorf plünderten wir die Bäckerei, tranken leckeren Espresso für nur 1 EUR, fuhren weiter durch malerische Landschaften und erhaschten hier und da einen Blick auf den wolkenumhangenen Mont Blanc und das Rhone-Tal. Gegen Abend wurde ich rasend, da Johan – der wie üblich 50-100m vor mir fuhr – das Dorf links liegen lies, in dem eigentlich laut unserer Karte ein Campingplatz sein sollte. Wie vom Teufel besessen radelte ich ihm hinterher, schrie und fuchtelte, konnte ihn aber erst nach ca. 1km einholen.  Gemeinsam fuhren wir wieder zurück nur um zu erfahren, dass es gar keinen Campingplatz im Dorf gibt. Wir sollten doch noch ca. 20 km weiter radeln, dann käme ganz sicher ein Campingplatz. Ich hatte nicht wirklich Lust, da wir auch nicht wussten, ob wir den Dörflern glauben konnten, dass es nur bergab ginge. Doch dieses Mal hatte der Fahrradgott Mitleid mit uns und es ging tatsächlich fast die ganze Strecke bergab, durch eine fantastische Landschaft und immer die untergehende Sonne im Blick. Wir kamen gut gelaunt im nächsten Dorf an, stellten unser Zelt auf einem schönen, aber dreckigen Campingplatz auf, kochten und genossen den Rest des Abends bei einem Glas Wein.

9. Tag – 67km nach Les Marches: Morgens regnete es mal wieder bis nach 10 Uhr. Wir warteten also wieder ab, bis die Sonne schien und radelten auf kleinen wenig befahrenen Straßen meist am See entlang nach Aix-les-Bains. Dort gab’s dann erst mal Mittagessen und nachmittags radelten wir gemütlich nach Chambery, von wo aus wir links in Richtung Berge fuhren. In den letzten Tagen hatte ich Husten bekommen, der von Tag zu Tag schlimmer wurde. Zusätzlich war mein Hintern wundgescheuert, was für mich das Radfahren etwas anstrengender gestaltete als es eigentlich hätte sein sollen, da wir bisher die Berge immer nur von weitem betrachteten. Vor Tagen schon meinte Johan, wir könnten ja auch mit dem Zug nach Südfrankreich fahren und von dort unsere Reise fortsetzen. Aber davon wollte ich nichts hören. Ich war auf  die französischen Alpen eingestellt und wollte unbedingt einige der berühmten Tour de France-Pässe erklimmen. So fuhren wir also weiter in Richtung Berge, hielten am ersten Campingplatz und ließen den Tag mit einer leckeren Pizza und einer Flasche Wein ausklingen.

Close to Aix-les-Bains

Kurz vor Aix-les-Bains

10. Tag – 74km nach St. Jean de Maurienne: Es stürmte in der Nacht und regnete am Morgen. Wir warteten bis das Schlimmste vorbei war und fuhren wieder mal spät los. Mein Husten hatte sich nicht verbessert, im Gegenteil, hinzu gesellten sich Kopfschmerzen. Trotzdem hatte ich Spaß am Radeln, da wir auf tollen kleinen Nebenstraßen in einem Tal fuhren, manchmal an einem reißenden Fluss entlang, durch hübsche, wie ausgestorbene Dörfer, an alten Bauernhöfen und Villen vorbei und immer mit Blick auf hohe Berge links und rechts. Rückenwind half uns über manch einen Hügel, aber wegen meiner Erkältung war ich doch sehr erschöpft. Wir haben uns ein Hotelzimmer genommen in der Hoffnung, dass ich meine Erkältung so schneller auskurieren kann.

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11. Tag – St. Jean de Maurienne: Habe die ganze Nacht gehustet und Johan wach gehalten, den Tag über geschlafen und versucht, gesund zu werden. Ab dem Nachmittag regnete es Bindfäden.

12. Tag – St. Jean de Maurienne: Der Husten hat nachgelassen, heute gab’s Schnupfen und mir war so gar nicht nach 2.500m-Pässen. Darum dachten wir, den Zug nach Turin zu nehmen. Pustekuchen! Auf dieser Strecke fährt nur der TGV und der nimmt keine Fahrräder mit. Die einzige Möglichkeit, die Berge zu umgehen, war entweder zurückzufahren oder Mont Cenis nach Italien zu überqueren. Da Zurückfahren für uns keine Alternative war, entschieden wir uns für den Berg. ES REGNET DEN GANZEN TAG ÜBER!

13. Tag – 97km nach Susa (I): Was für eine tolle Strecke! Mir ging es endlich etwas besser und ich fühlte mich in der Lage, den Berg zu bezwingen. So fuhren wir um 8 Uhr los, um die 66km bergaufwärts zu schaffen. Glücklicherweise waren die Steigungen mit maximal 9% sehr gemäßigt. Schnelle, in dicken Kleidern vermummte E-Biker überholten uns ohne Gruß, wahrscheinlich war es ihnen peinlich; schnelle, leichtgewichtige Rennradfahrer überholten und motivierten uns und wir fuhren langsam aber guten Mutes weiter. Kurz nachdem wir den Pass auf ca. 2.100m erreichten wurden wir mit den bislang besten Ausblicken belohnt. Um ehrlich zu sein dachten wir, wir wären durch ein Loch gefallen und in Neuseeland wieder rausgekommen, so irreal, mystisch und einfach nur wunderschön war die Landschaft. Noch ein paarmal mussten wir uns entlang des Sees bergauf quälen bevor wir laaaaange nach unten flogen. In Susa aßen und übernachteten wir in einem früheren Kloster aus dem 15. Jahrhundert für wenig Geld. Auf die Frage, ob die Rezeptionistin auch Englisch spräche, bekamen wir zur Antwort: “Nein, natürlich nicht, dies sei ja schließlich auch Italien und nicht England.” Abends gab es dann leckere hausgemachte Pasta im Klosterambiente.

Still easy going

Noch läuft es einfach

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At the bottom of the pass

Am Fuße des Berges

More than an hour later

Mehr als eine Stunde später

Almost there...

Fast oben…

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We made it once more!

Mal wieder geschafft!

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Ciao Bella Italia!

Ciao Bella Italia!

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Our little bedroom at the monastery

Unser Zimmer im Kloster

The former monastery

Klosterinnenhof

14. Tag – 37km nach Avigliana: Ich hasse italienisches Frühstück, was ich schon fast vergessen hatte. Es gab zwei Minischeiben Zwieback, ein Plastikcroissant und ein Stückchen trockenen Sandkuchen pro Person. Wir suchten uns sofort nach Abreise ein Cafe, um dort noch ein bisschen nachzulegen, dieses Mal mit leckeren gefüllten Croissants. Wir genossen das schöne Wetter auf einer typisch italienischen Terrasse und beobachteten genüsslich die Espresso-trinkenden und spazierenden Italiener. Da wir noch müde vom Vortag waren, fuhren wir nur zum nächsten See, stellten unser Zelt auf und entspannten uns für den Rest des Tages.

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The Susa valley

Susa-Tal

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15. Tag – 88km nach Santa Maria: Im Zickzackkurs und bei prächtigem Wetter ging es zunächst nach Turin. Es dauerte ewig, bis wir im Zentrum ankamen, die Stadt fühlte sich riesig an und die Strecke zog sich wie Kaugummi. Wir kauften neue Landkarten für den Rest unserer Strecke und fuhren nach dem Mittagessen weiter in Richtung Osten, dieses Mal entlang des Flusses Po. Hier konnten wir lange Strecken auf Radwegen direkt am Fluss entlang radeln, manchmal mussten wir allerdings auf die Hauptstraße ausweichen. Die Gegend wurde immer weniger touristisch, was sich dadurch bemerkbar machte, dass es kaum noch Hotels geschweige denn Campingplätze gab. Uns war klar, dass wir heute Nacht irgendwo wild kampieren mussten. Wir kochten daher unser Abendessen auf einem kleinen Platz in einem Dorf und fuhren dann in Richtung Fluss, um hier einen guten Platz zu finden. Leider waren wir plötzlich in einer Gegend, wo Reis angebaut wird und weit und breit ließ sich kein geeigneter Zeltplatz finden. Wir fuhren weiter bis zum Sonnenuntergang und fanden weitab der Zivilisation ein kleines Plätzchen im 1-Meter hohen Gras. Moskitos fraßen uns bei lebendigem Leib und nach einer Katzenwäsche mummelten wir uns gerade rechtzeitig bei Einbruch der Dunkelheit in unsere Schlafsäcke.

Torino

Turin

Leaving the big city

Raus aus der großen Stadt

Our camp spot next to the river Po

Unser Zeltplatz am Po

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